28. Juli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fleissige Zwerge in Homorod, Rumänien

Schon lange plante Zsuzsa, die Leiterin der von uns unterstützen Orban Foundation in Oderheiu-Secuiesc, das Lager 2013 in Homorod. Fünf Jahre ist es her, dass sie das letzte Lager durchführen konnte und umso wichtiger ist es für die behinderten Kinder von Bice Boca, dass nun nach dieser langen Pause wieder einmal ein Lager stattfand. 

Als ich im Sommer 2012 erstmals davon erfuhr, war ich sofort begeistert und sicherte Zsuzsa spontan meine Unterstützung zu. Ich versprach ihr, wenn sie das Lager durchführe, würde ich aus der Schweiz anreisen und sie die ganze Woche dabei unterstützen. Das nahm sie noch so gerne an. Doch noch gab es für Zsuzsa viel zu organisieren, z.B. die hohe Anzahl der nötigen und ausgebildeten Leiterinnen, ein für Behinderte geeignetes Haus, Transport und Verpflegung, das Beschäftigungsprogramm für die Kinder und schliesslich die Finanzierung.

Nach intensiver Beratung im Vorstand und diversen Rückfragen bei Zsuzsa konnte „Rettet Kinder“ die Finanzierung übernehmen. Dank unseren grosszügigen Spenderinnen und Spendern konnten wir ihr die erlösende Zusage machen und somit konnte das Lager überhaupt stattfinden.

Ich wollte mein Versprechen auch einhalten und plante meine letzte Sommerferienwoche entsprechend, dass ich bereits am Sonntag auf eigene Kosten nach Oderheiu-Secuiesc anreiste. Am Montag früh um neun Uhr war die Besammlung der Kinder und einzelner Eltern im Schulhof von Bice Boca. Fleissige Helfer verstauten das Gepäck und Schulmaterial auf die Fahrzeuge, während dem die Kinder es kaum erwarten konnten. Die Vorfreude stand ihnen ins Gesicht geschrieben und vor lauter Aufregung konnten sie kaum ruhig sitzen. Nach fünf Jahren endlich wieder das erste gemeinsame Lager, eine neue Umgebung, draussen in der Wiese spielen und endlich mal vom Alltag etwas ausbrechen. Da ich am Vortag bereits fünf Stunden von Bukarest mit dem Auto nach Oderheiu unterwegs war, war ich umso dankbarer, dass Homorod nur gerade 20 Minuten entfernt lag.

Ein grosses Haus mit viel Umschwung erwartete uns hier. Eine grosse Wiese zum Spielen, Tische im Freien zum Basteln und alles ist rollstuhlgängig. Die Freude der Kinder wechselte in Neugierde. Was sie wohl alles erwarten würde diese Woche? Die Leiterinnen nahmen die ihnen zugeteilten Kinder, bezogen gemeinsam ihre Zimmer und verstauten das Gepäck. Gleichzeitig wurde die Küche eingeräumt und sofort in Betrieb genommen.

Nach einer ersten Stärkung aus der Küche, einer feinen Gemüsesuppe, gab es die Lagerregeln und eine Geschichte welche das Lagermotto darstellt, nämlich die Geschichte der Schlümpfe. Das Lager stand dann auch sinngemäss unter dem Motto „Zwerge in Homorod“.

Das Lagerleben hatte eine klare Struktur und war von Zsuzsa und ihren Leiterinnen perfekt geplant. Jeder Tag startete für die 24 behinderten Kinder und die meisten Leiterinnen mit etwas Gymnastik. Da jeden Tag die Sonne schien, fand dies immer draussen an der frischen Luft statt. Alle Kinder waren anwesend und machten so gut es ihnen möglich war mit. Ein bisschen die Arme schwingen, die Beine schütteln, im Kreis herumgehen. Danach erzählte die programmverantwortliche Heilpädagogin, was am heutigen Tag alles auf dem Programm stand. Schon wurden alle zum ersehnten Frühstück hinein gerufen. Auch hier wieder das gleiche Bild: Einzelne Kinder können selber essen, die stärker behinderten werden von ihren Leiterinnen gefüttert wie kleine Kinder.

Waren alle verpflegt und versorgt, ging es an die Arbeit. Wobei mit Arbeit basteln gemeint war. Unter Anleitung wurde jeden Tag gebastelt, was zum Motto passte. Wenn auch oft mehr die helfenden Leiterinnen bastelten, so entstanden doch in gemeinsamer Arbeit schöne Sachen. Grosse Poster zum Thema Zwerge in Homorod, Fische aus Papierteller mit farbigen Papierstreifen, Luftballonschlangen, Bilder mit Kohlestift, bemalte T-Shirts sowie Gläser und bunte Steine. Das Lagerhaus wurde von Tag zu Tag dekorierter und bunter. Es lebte, es lebte durch die Zwerge in Homorod.

Die Zeit verlief immer schnell, basteln, Mittagessen, Mittagsschlaf, spielen, Sport, spazieren, basteln und Abendessen. Aber nach dem Abendessen war noch nicht Feierabend. Die Leiterinnen liessen sich für diesen Abschnitt im Tag weitere lustige Gruppenspiele einfallen und führten z.B. an einem Abend ein Casting mit den Kindern durch. Dabei durfte ich mit zwei Leiterinnen in der Jury sitzen und die einstudierten Auftritte von zwei Gruppen und verschiedenen Solos bewerten. Ich war positiv überrascht, was die körperlich- und geistig behinderten Kinder darboten. Tänzchen in der Gruppe, Gedichte und Verse und sogar rumänische Lieder wurden als Solo dargeboten. Klar, dass ich fast ausnahmslos die höchste Note vergab und als Dank ein wunderschönes Kinderlachen mit glänzenden Augen bekam.

So ungefähr verlief jeder Tag, bis auf den Donnerstag. Der Donnerstag war der zweitletzte Tag, denn am Freitagnachmittag war das Lager schon wieder zu Ende. Der Donnerstag war voll von kleinen Überraschungen. Gerade als alle im Garten sassen und gemeinsam bekannte Kinderlieder sangen, kamen drei Reiter aufs Gelände. Unter Aufsicht und begleitet durch ihre Leiterinnen, durften nun immer zwei Kinder (die sich getrauten) im Kreis herumreiten. Das Pferd wurde dabei von seinem Besitzer an der langen Leine geführt und kontrolliert. Hei, war das ein Spass für die Kinder. Christoph und Orsika, unsere kleinsten Lieblinge konnten sich fast nicht mehr von den Pferden lösen. Zum Schluss  war von der gebuchten Stunde noch etwas Zeit übrig und so konnten nun noch die mutigen Leiterinnen einige Runden reiten. Die nächste Überraschung war das Nachtessen. Einzelne Leiterinnen bereiteten in der Zwischenzeit ein einfaches Festmahl zum Nachtessen vor und dekorierten die Eier-, Thon- und Kartoffelspeisen auf den Anrichteplatten in Form von Fischen, einem Zwerg und einem Taxi. Letzteres hatten sie mir gewidmet, da ich ja auch schon bald nach Hause fahren musste.

Mittlerweile wurde es dunkel in Homorod und so fand die Fortsetzung des Abschlussprogramms im Garten statt. Rund 20 kleine Heissluftballone wurden von den Leiterinnen vorbereitet und langsam in das Dunkel der Nacht geschickt. Die kleinen Kerzen am unteren Ende leuchteten noch lange in den Nachthimmel hinein. Abgerundet wurde der Abend mit einem Lagerfeuer hinter dem Haus. Gemeinsam sassen wir um das Feuer und genossen die Wärme die es spendete, bevor das Bett zum letzten Mal rief. 

Der Freitag stand dann im Zeichen des Abschieds, für mich bereits nach dem Frühstück, denn es stand mir wieder eine rund fünf stündige Autofahrt zurück nach Bukarest bevor. Gleich nach dem Essen machte ich die Runde, damit ich sicher niemand vergass zu verabschieden. Mittlerweile hatte ich mir alle 41 Namen eingeprägt, nur Ungarisch konnte ich halt immer noch nicht. Aber das wichtigste Wort, nämlich Danke (Köszönöm) beherrschte ich und es fiel in diesem Moment recht oft auf beiden Seiten. Die eine oder andere Kinderumarmung bekam ich mit auf den Weg und jede Menge winkende Hände bei der Abfahrt. Zum Glück stehen wir weiterhin in Kontakt, zum Glück sind weitere Hilfstransporte geplant und wer weiss, vielleicht auch wieder einmal ein Lager. Diese Woche hat uns extrem näher gebracht und das wird so bleiben, auch wenn das Lager mittlerweile Geschichte und Erinnerung ist.

Mein persönlicher Eindruck vom Alltag mit den behinderten Kindern von Bice Boca ist um einiges reicher geworden. Ich durfte wertvolle Erfahrungen sammeln und war in dieser Woche ein Bestandteil der grossen Bice Boca Familie. Den Leiterinnen um Zsuzsa bringe ich allergrössten Respekt entgegen. Während den 5 Tagen in Homorod verrichteten sie einen 24 Stunden Job ohne Ende. Vom Aufstehen bis zum Bett gehen waren sie immer in der Nähe ihrer Schützlinge präsent. Beaufsichtigten die behinderten Kinder, fütterten sie beim Essen, begleiteten sie zur Toilette, bastelten und spielten mit ihnen und nahmen sie bei Bedarf in die Arme. Dazwischen bereiteten einzelne von ihnen die Mahlzeiten in der kleinen Küche zu, wuschen die Kleider und putzten die Räume und das täglich. Nachts schliefen sie mit ihren Schützlingen im gleichen Raum, um auf sie aufpassen zu können und da zu sein, wenn etwas ist. Eine solche intensive Betreuung rund um die Uhr, bei dem persönliche Interessen auf einen Kaffee zwischendurch reduziert werden, geht an die eigenen Grenzen. Aber sie liessen sich nichts anmerken und machten das Lager zu einem wunderbaren und wertvollen Erlebnis für die Kinder. Gut, dass Zsuzsa und die Kinder auf diese wertvollen Betreuerinnen zählen dürfen. Und ein bisschen beruhigend, dass sie auf Hilfe vieler Spenderinnen und Spender in der Schweiz zählen können.

 

 

Stephan Meyer
28. Juli bis 2. August 2013
Homorod, Rumänien

 

 

zu den Fotos

(Fotolegenden)